Das Lied der Meerjungfrau

In einer Zeit, in der die Menschen noch an viele Märchen und Legenden glaubten, lebten die Meerjungfrauen tief im Ozean. Die Geschichte erzählt von einer jungen Meerjungfrau namens Lina, die in einem wunderschönen, bunten Korallenriff wohnte. Das Riff war voller Leben, mit Fischen in allen Farben des Regenbogens und schönen Wasserpflanzen, die sanft im Zeitstrom schwankten. Lina war anders als die anderen Meerjungfrauen. Während ihre Schwestern den Ozean liebten und mit Freude in den tiefen Gewässern tanzten, träumte Lina von der Welt über der Wasseroberfläche. Sie wollte die Sonne auf ihrem Gesicht fühlen und die frische Luft atmen. Oft schwamm sie bis zur Oberfläche und beobachtete die Menschen, die fröhlich am Strand spielten.

Eines Tages, als die Wellen wie ein sanfter Wind über das Wasser glitten, sah Lina ein Boot. Es war groß und prächtig, und darauf saßen Menschen mit bunten Kleidern und Lächeln. Unter ihnen war ein junger Mann mit tiefen, blauen Augen. Er sang ein Lied, das so schön war, dass Lina ganz verzaubert war. Der Klang seiner Stimme war wie das Rauschen der Wellen, und es erzählte von Freiheit und Abenteuern. Lina hörte aufmerksam zu, ihre Herzschläge wurden schneller, und sie spürte, wie eine neue Sehnsucht in ihr wuchs. Dieses Lied war etwas Magisches.

Nach diesem Tag konnte Lina nicht mehr aufhören, an den jungen Mann zu denken. Sie besuchte oft die Wasseroberfläche, nur um sein Boot zu sehen. Jedes Mal, wenn sie ihn hörte, füllte sich ihr Herz mit Freude, und sie wollte ihm etwas geben – ein Teil von ihr. Sie begann, ihr eigenes Lied zu singen. Sie sang von der Schönheit des Ozeans und von ihren Träumen. Doch ihr Lied war anders. Es war traurig und voller Sehnsucht, denn sie wusste, dass sie, als Meerjungfrau, nie zu ihm kommen konnte.

Die anderen Meerjungfrauen bemerkten, dass Lina anders war. Sie schüttelten den Kopf und warnten sie: „Warum liebst du einen Menschen? Die Menschen sind nicht wie wir. Sie sind gefährlich! Du musst in der Tiefe des Ozeans bleiben.“ Aber Lina konnte nicht aufhören zu träumen. Sie schwamm höher und höher, wollte dem Licht der Sonne näher kommen. Eines Morgens schwamm sie mutig an die Oberfläche, um das Boot zu sehen. Der junge Mann sang, und Lina versuchte, ihn zu erreichen. Sie tauchte tief hinunter, bis sie fast den Grund des Ozeans berührte. Sie wollte ihm ihr Lied vorsingen, damit er es hören konnte – ein Wunsch, ein Flüstern aus der Tiefe.

Doch als sie wieder auf die Oberfläche auftauchte, stellte sie fest, dass das Boot verschwunden war. Enttäuschung überkam sie, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Das Wasser um sie herum leuchtete im Sonnenlicht, aber Lina fühlte sich einsam und verloren.

Plötzlich hörte sie ein sanftes Rauschen neben sich. Es war eine alte Meerhexe, die für ihre magischen Fähigkeiten bekannt war. „Warum weinst du, mein Kind?“ fragte die Hexe mit einer sanften Stimme. Lina erzählte ihr von dem jungen Mann und ihrem Lied. Sie sprach von ihrer Sehnsucht, ihn zu sehen und in der Sonne zu leben. Die Meerhexe sah Lina mit ihren weisen, tiefen Augen an. „Du hast einen großen Wunsch, aber er ist nicht einfach“, sagte die Hexe. „Willst du bereit sein, alles zu opfern, um zu ihm zu gelangen? Lina schaute die Meerhexe an. Ihr Herz schlug schneller. „Ja, ich bin bereit! Ich würde alles für ihn opfern!“ rief sie mit fester Stimme. Die Meerhexe lächelte und nickte. „Es wird nicht leicht sein, aber du wirst ihn finden. Um menschlich zu werden, musst du deine Stimme aufgeben. Du wirst nicht mehr singen können. Dafür wirst du seine Liebe gewinnen können.“

Lina zitterte bei dem Gedanken, ihre Stimme zu verlieren. Aber die Sehnsucht war zu stark. „Ich mache es“, flüsterte sie und schloss die Augen.

Die Meerhexe begann, geheimnisvolle Worte zu murmeln. Das Wasser um Lina herum begann zu blitzen und zu blitzen. Plötzlich spürte Lina, wie die Magie sie umhüllte. Es fühlte sich warm und weich an, wie der Sonnenstrahl, den sie so sehr vermisste. Doch als die Magie endete, war Lina am Boden zerstört. Ihre Stimme, die so voller Gefühle war, war fort. Sie konnte nicht mehr singen.

Gerade als ihre Traurigkeit sie überwältigen wollte, stellte sich Lina auf die Füße. Sie konnte stehen! Sie hatte Füße! Sie schloss die Augen und begann, an den Strand zu schwimmen. Als sie die Küste erreichte, fühlte sie den warmen Sand an ihren neuen Füßen. Lina spürte die Wolken über ihr, die Sonne auf ihrer Haut, und sie war glücklich. Aber der Preis ihrer Entscheidung schmerzte in ihrem Herzen.

Sie stapfte vorsichtig am Strand entlang, bis sie das Boot sah, das sie so oft beobachtet hatte. Der junge Mann war dort, und er lächelte, als er sie sah. Lina hätte ihn rufen wollen, doch sie konnte nur schweigen. Stattdessen lächelte sie zurück, ihre Augen voller Tränen.

Der junge Mann bemerkte ihre Traurigkeit. „Bist du in Ordnung?“ fragte er, aber die Worte blieben in Lina stecken. Sie fühlte, wie der Wind in ihren Haaren spielte und wollte ihm von ihrer Liebe erzählen. Sie wollte ihn wissen lassen, dass sie gekommen war, um bei ihm zu sein.

Die Tage vergingen, und Lina war in der Menschenwelt gefangen. Sie verbrachte viel Zeit mit dem jungen Mann, aber die Freude war oft von einer tiefen Traurigkeit überschattet. Er sang weiterhin, wunderbare Lieder, die Lina nie wieder hören konnte. Sie fühlte seine Liebe, aber auch die Leere in ihrem Herzen. Sie vermisste ihre Stimme und ihre Heimat im Ozean.

Eines Tages schloss der junge Mann Lina in seine Arme und sagte: “Ich habe etwas Wichtiges für dich.” Er zog einen silbernen Ring aus seiner Tasche. „Dieser Ring symbolisiert die Freiheit und die Liebe. Möchtest du meine Frau werden?“ Sein Herz schien zum ersten Mal für sie zu schlagen.

Lina war überglücklich, aber der Preis für ihre Entscheidung war schwer. Die Erinnerungen an den Ozean und ihre Schwestern kamen zurück, und sie wusste, dass sie niemals zurückkehren könnte. Er konnte sie nicht hören, aber sie kämpfte gegen die Tränen an und nickte, um ihm zu zeigen, dass sie bereit war.

Als sie seine Hand nahm, mehrte sich der Schmerz in ihrer Brust. Die Liebe des jungen Mannes war wie der Glanz der Sonne, klar und stark. Aber die Stimme des Meeres, die Melodie der Wellen fehlte in ihrem Herzen.

Und so lebte Lina, gefangen zwischen zwei Welten, ihre Liebe stets im Schatten der verlorenen Träume. Die Meerjungfrau war nicht mehr, aber das Lied von Freiheit und Sehnsucht lebte in ihrem Herzen weiter. Wenn der Wind über den Strand wehte, konnte man vielleicht hören, wie ihr Kummer und ihre Freude in den Wellen tanzten und die Herzen der Menschen berührten.